Die "Zeitschrift für physikalische Chemie"

Die "Zeitschrift für physikalische Chemie".
Ein Beitrag bibliothekarischer Zeitschriftenforschung

Thomas Hapke
Die Zeitschrift für physikalische Chemie aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht. 18.6.1991.
Vortrag auf dem 65. Berliner Wissenschaftshistorischen Kolloquium des Bereiches Wissenschaftsgeschichte am Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaften der Akademie der Wissenschaften Berlin.

(Zusammenfassung von Thomas Hapke: Die Zeitschrift für physikalische Chemie : 100 Jahre Wechselwirkung zwischen Fachwissenschaft, Kommunikationsmedium und Gesellschaft. Herzberg: Bautz, 1990.)


Die "Zeitschrift für physikalische Chemie" - Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

Der Physiker John Ziman unterscheidet in seinem Buch "An introduction to science studies" drei Dimensionen von Wissenschaft,

Alle drei Themenkreise schneiden sich und spiegeln sich in der "Publikation", die seit dem 19. Jahrhundert überwiegend in Zeitschriften erfolgt. Folgerichtig bemerkt Wilhelm Ostwald, der Initiator und Herausgeber der Zeitschrift für physikalische Chemie in seinem Aufsatz "Alte Zeitschriften":
"So erweisen sich die langen und äusserlich langweilig aussehenden Reihen uniformer Bände der Zeitschriften, in denen unsere wissenschaftliche Literatur zum grössten Teile in ihrer unberührtesten Form niedergelegt ist, als eines der erfolgreichsten und gleichzeitig unterhaltendsten Hilfsmittel für Betätigungen aller Art, die mit der Wissenschaft irgendwie zusammenhängen".
(S.585 Forderung des Tages)

In diesem Sinne möchte ich nun einige Aspekte der Entwicklung der Zeitschrift für physikalische Chemie behandeln. Der Titel meines Vortrages lautet etwas abweichend vom Programm, "ein Beitrag bibliothekarischer Zeitschriftenforschung". Ich möchte damit einer Diskussion zur Frage "Was ist Bibliothekswissenschaft oder existiert überhaupt eine solche ?" (Köttelwesch, Clemens: Das Wiss.Bibliothekswesen i.d. Bundesrep. Deutschland. II. Frankfurt: Klostermann, 1980 S. 95ff) aus dem Wege gehen. Dass Zeitschriftenforschung selbst, ob bibliothekarisch, publizistisch oder wissenschaftshistorisch, wohl im umgekehrten Verhältnis zum Nutzungsgrad von Zeitschriften in der Wissenschaft steht, sei nur am Rande vermerkt (Peter Gerlach: Zeitschriftenforschung. 1988. und Hans Bohrmann, Peter Schneider: Zeitschriftenforschung. 1975). Der Titel soll vielmehr auf den Entstehungszusammenhang meiner Untersuchungen hinweisen. Sie sind entstanden aus der Notwendigkeit, eine schriftliche Hausarbeit für die Laufbahnprüfung des höheren Bibliotheksdienstes zu schreiben und der Möglichkeit, das eigene Interessengebiet "Chemiegeschichte" dabei zu berücksichtigen. Meine Untersuchungen beruhen primär auf der Durchsicht der Zeitschrift selbst und auf der Einsicht in den Briefwechsel zwischen Wilhelm Ostwald und den Verlagen Engelmann und Voss, der sich im Zentral-Archiv der Akademie der Wissenschaften befand und, ich hoffe, auch noch befindet.

Im 1. Teil meines Vortrages sollen vor allem Probleme einer Zeitschriftengründung und wirtschaftliche Aspekte der Herausgabe der Zeitschrift für physikalische Chemie gestreift werden. Der ganze Vortrag ist mehr der "äusseren" Entwicklung der Zeitschrift gewidmet, bei der neben innerwissenschaftlichen auch politisch-gesellschaftliche Einflüsse zum Tragen kommen, so in der Zeit der 20er und 30er Jahre dieses Jahrhunderts, die im 2. Teil des Vortrages Berücksichtigung finden, sowie nach dem 2. Weltkrieg, ein Zeitraum der am Schluss kurz behandelt wird.


2. Äussere Bedingungen von Zeitschriftengründung und -herausgabe


2.1. Gründungsphase

Am 15. Februar 1887 erschien im Verlag Wilhelm Engelmann Leipzig das erste Heft der von Wilhelm Ostwald intiierten und mit Jacobus Henricus van't Hoff herausgegebenen "Zeitschrift für physikalische Chemie, Stöchiometrie und Verwandtschaftslehre".
Stöchiometrie und Verwandtschaftslehre sind nach Ostwald Teile der physikalischen Chemie. Die Untersuchung chemischer Vorgänge wird in der Verwandtschaftslehre untersucht, zu der Thermochemie, Elektrochemie und Kinetik gehören; die Stöchiometrie behandelt Fragen der chemischen Konstitution und untersucht physikalische Eigenschaften chemischer Verbindungen. Die physikalische Chemie war für Ostwald Grundlage der Chemie und wurde von ihm deshalb auch allgemeine Chemie genannt.

Ostwald hatte sein berühmtes "Lehrbuch der allgemeinen Chemie" beim Verlag Wilhelm Engelmann herausgebracht und dabei auch die Planung einer Zeitschrift angesprochen. Der Verlag wurde in dieser Zeit von Dr. Rudolf Engelmann geleitet und hatte sich gerade zunehmend den Naturwissenschaften zugewandt und auch Erfahrung bei Zeitschriftengründungen gesammelt.

In einem Brief an Ostwald vom 21. Juni 1886 machte Engelmann auf die Probleme aufmerksam, die jede Zeitschriftengründung für einen Verleger mit sich bringe. Gerade am Anfang wäre eine , ich zitiere, "Periode geschäftlicher Unfruchtbarkeit und constanter Unterbilanz" zu erwarten. Ein Redaktionshonorar könne Ostwald zuerst nicht erwarten. Engelmann schrieb weiter: "eilig ist sie [, die Zeitschriftengründung,] ja nicht", worin er sich gründlich täuschen sollte. Die Aussicht auf eine gewinnbringende Zeitschrift schien auch dem Verleger Leopold Voss Hamburg Mut zu machen, die Gründung einer Zeitschrift zu erwägen. Diese Gründungsphase, die relativ hektisch gewesen sein muss, so schickte Voss Ostwald u.a. auch Telegramme, um ihn zur Mitarbeit zu bewegen, ist schon öfter beschrieben worden (Uwe Niedersen, 1987. Rodnyj/Solov'ev, 1977), ich kann mich hier also kurz fassen. Wie weit die Sache bei Voss schon gediehen war, ist aus einem "vorläufig" abgesetzten Titelblatt der geplanten Zeitschrift ersichtlich, das sich im Briefwechsel erhalten hat.

Beide Verleger betonten in ihren Briefen an Ostwald, dass ein Bedürfnis nach einer Zeitschrift für physikalische Chemie ihrer Meinung nach vorhanden sei. Probleme, physikalisch- chemische Arbeiten in bestehenden Fachzeitschriften zu veröffentlichen, sollten durch die Neugründung überwunden werden. Damit würde, ich zitiere aus einem Brief von Voss vom 14. November 1886, "rascheres Erscheinen der Arbeiten" ermöglicht und "auch längere Arbeiten könnten ohne Teilung aufgenommen werden". Beide Verleger betonten die Notwendigkeit, sich die Unterstützung von Fachkollegen zu sichern. Für Engelmann war Ostwalds Aufenthalt in Riga ein weiteres Problem, dass , ich zitiere aus dem Brief vom 21.Juni 1886, "die Redaktion und Herausgabe allerdings nicht unerheblich erschweren" würde. Doch schon im Jahr der Zeitschriftengründung wurde Ostwald als Professor an die Universität Leipzig berufen.

2.2. Verhältnis zwischen Verlag und Herausgeber

Das enge Verhältnis Wilhelm Ostwalds zum Verleger Dr. Rudolf Engelmann belegen allein 49 Briefe oder Karten von Engelmann an Ostwald aus der Zeit der Zeitschriftengründung vom Juni 1886 bis September 1887. Die Tatsache, dass es keinen Vertragsabschluss über die Gründung gegeben hat, bestätigt dies ebenfalls.

Die Zeitschrift für physikalische Chemie war ein voller Erfolg. Die Zahl der Bände stieg von einem auf bis zu 6 pro Jahr (1910), wobei die Seitenzahlen pro Band bei 600-800 Seiten lagen. Damit wird das schnelle Wachstum der wissenschaftlichen Literatur, speziell der physikalisch-chemischen, zum Ende des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Auch wirtschaftlich gesehen, war die Zeitschrift ein Gewinn: In einigen Briefen vom Verlag an Ostwald finden sich dazu einige Zahlen. 1911 berichtet Engelmann von einem Reingewinn von 13468,80 Mark für die Bände 70-74 (1910). Zwei Jahre später brachten die Bände 78-80 einen Gewinn von 11014,15 Mark. Diese Zahlen fallen allerdings schon wieder in eine Zeit, in der es mit Verlag und Zeitschrift wirtschaftlich schlechter ging. Der Verleger klagt über eine , ich zitiere einen Brief vom 11. Februar 1911 "beständige Abnahme der Abonnentenzahl". Die Absatzzahlen fallen vom Band 62(1908) zum Band 74(1910) von 784 auf 731.

Es ist klar, dass den enormen Anstieg der wissenschaftlichen Literatur viele Bibliotheken oder andere Institutionen, noch weniger Privatleute, finanziell kaum verkraften konnten. 1915, also im 1. Weltkrieg, klagte Engelmann, dass die Abonnentenzahl "seit Kriegsausbruch von 658 auf 316, also um volle 52% zurückgegangen" sei (Brief vom 1. Juli 1915). Schon vorher war der Verlag u.a. durch Erbauseinandersetzungen in Bedrängnis geraten, was letztendlich dazu führte, dass die Zeitschrift für physikalische Chemie neben anderen Werken an die Akademische Verlagsgesellschaft Leipzig verkauft wurde.

Schon früher war das gute Verhältnis zwischen Herausgeber und Verlag im 1. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts durch mannigfache Streitigkeiten getrübt worden. Aufgrund des fehlenden Verlagsvertrages kam es 1906 zum Streit um das Urheberrecht an der Zeitschrift. Ostwald wollte nach der Niederlegung seiner Professur vermutlich auch die Herausgabe der Zeitschrift abgeben und forderte eine hohe Entschädigung. Der Streit wurde durch einen Vergleich vom 14. März 1907 geschlichtet. Der Text dieses Vergleiches findet sich im Briefwechsel. Ostwald überliess dem Verlag das Recht, seinen Namen auf dem Titelblatt zu führen und verpflichtete sich, keine Konkurrenzzeitschrift zu gründen. Er erhielt eine einmalige Abfindung von 8000,- Mark und eine jährliche Tantieme zwischen 750,- und 1200,- Mark je nach Reingewinn bis 1924 zugesprochen. Engelmann verpflichtete sich, die Zeitschrift unter dem bisherigen Titel weiterzuführen und Ostwald für künftige Beiträge 128,- Mark pro Bogen zu zahlen. Geschäftsführender Herausgeber wurde Robert Luther, dessen Honorierung der Verlag zu übernehmen hatte. Nach einem Streit zwischen Luther und Ostwald übernahm Ostwald 1908 wieder die alleinige Redaktion und erhielt dafür, ich zitiere aus dem Vertrag vom 18. Mai 1908 "wie früher Mark 25,- für den Bogen". Alle diese Zahlen verdeutlichen, dass die Herausgabe einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift durchaus auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für Verleger und Herausgeber ein Erfolg ist.
Alle erwähnten Auseinandersetzungen werden auch auf den Titelblättern der Zeitschrift sichtbar, die sich zwischen 1906 und 1911 bei der Herausgeberangabe mehrmals änderten.

2.3. Referate

Um "ein vollständiges Bild des jeweiligen Standes der physikalischen oder allgemeinen Chemie" geben zu können, wurden von Anfang an neben den Originalarbeiten auch Referate von Zeitschriftenaufsätzen und Buchbesprechungen veröffentlicht. Bis zum Jahre 1897 hat Ostwald diese oft wertenden und überspitzt-polemischen Referate fast alle selbst verfasst. Manche von Ostwalds wissenschaftlichen, philosophischen und wissenschaftsorganisatorischen Ansätze sind hier zum ersten Mal veröffentlicht worden.

1905 wurden die Zeitschriftenreferate vollständig eingestellt. Die Bücherschau blieb jedoch bestehen, bis 1913 ausschliesslich von Ostwald verfasst. Für die Einstellung der Referate wurden in einer "Nachricht" der Herausgeber mehrere Gründe genannt (50(1905)758):

Ostwalds Gedanken zur Wissenschaftsorganisation oder zu dem, was heute Fachinformation oder Information und Dokumentation genannt wird, fanden ihren institutionellen Ausdruck in der Gründung der "Brücke", dem "Internationalen Institut zur Organisation der geistigen Arbeit".
Interessant an der Entwicklung des Referateteils finde ich noch folgenden Aspekt: Analog wie in den ersten chemischen Fachzeitschriften neben Originalabhandlungen vor allem [sinvcircumflex]bersetzungen aus anderen Zeitschriften gedruckt wurden (Rudolph Stichweh: Zur Entstehung des modernen Systems wiss. Disziplinen. 1984. S. 434), erscheinen in der Zeitschrift für physikalische Chemie Referate aus anderen Zeitschriften. Erst als sich das Fach Chemie, in diesem Fall die Physikalische Chemie, als selbständige Disziplin etabliert hatte, wurde auf Übersetzungen bzw. Referate verzichtet. Übersetzungen bzw Referate förderten in den chemischen Fachzeitschriften bzw. in der Zeitschrift für physikalische Chemie die Konstitution der Disziplin. Die Zeitschrift sammelt alle an der neuen Disziplin interessierten Wissenschaftler, die über die Übersetzungen bzw. Referate zusammen mit den Originalabhhandlungen die gesamte Literatur der Fachdisziplin in der Zeitschrift finden konnten.


3. Höhepunkt und Niedergang


3.1. Teilung und Umbenennung

Nun erfolgt zeitlich ein grosser Sprung ! In den Zwanziger Jahren kam es nach dem Ersten Weltkrieg zu einem erneuten Aufschwung der Naturwissenschaften in Deutschland. Auch die jährlichen Seitenzahlen der Zeitschrift für physikalische Chemie spiegeln dies deutlich wider. Der Höhepunkt der Entwicklung wurde 1931 erreicht. Die Jahresproduktion bestand aus 5712 Seiten mit 404 Originalarbeiten.

Schon 1928 war es zu einer Titeländerung und Teilung der Zeitschrift gekommen. Mit Band 137 erschien die Zeitschrift unter dem verkürzten Titel "Zeitschrift für physikalische Chemie". Das Weglassen der Begriffe "Stöchiometrie" und "Verwandtschaftslehre" im Titel wurden in der Zeitschrift nicht weiter begründet. Der Begriff der "Verwandtschaftslehre" war schon damals veraltet, Stöchiometrie hatte eine eingeschränktere Bedeutung (Römpp: mengenmässige Beschreibungchemischer Reaktionen). Die "Abteilung A: Chemische Thermodynamik-Kinetik-Elektrochemie-Eigenschaftslehre" erschien in fortlaufender Zählung; die "Abteilung B: Chemie der Elementarprozesse-Aufbau der Materie" in neuer Zählung.

Mit dieser Teilung reagierte man auf die stürmische Entwicklung der Quantenmechanik und deren Anwendung auf die Chemie. Es entstand quasi ein neues Grenzgebiet zwischen Physikalischer Chemie und Physik, die Chemische Physik, die also besonders in der Abteilung B berücksichtigt werden sollte. Trotz des "Lehrbuches der Chemischen Physik" von Arnold Eucken konnte sich in Deutschland diese Bezeichnung nie durchsetzen. Hier wurde physikalische Chemie als Teil der Chemie und selten als Teil der Physik gelehrt. International scheint dagegen auch heute die Bezeichnung üblich zu sein. 1933 wurde von Harold C. Urey das noch heute existierende "Journal of chemical physics" gegründet. Eugen Garfield, der Begründer des Science Citation Index, wollte einen Teil seiner Analyse von "Physical chemistry and chemical physics journals" sogar den Untertitel "Is physical chemistry dead ? Long live chemical physics !" geben.

Die Zweiteilung der Zeitschrift wurde 1943 mit Band 192 aufgehoben. Man hatte erkannt, ich zitiere aus einer Notiz "An die Abonnenten der 'Zeitschrift für physikalische Chemie'":

"Viele Fragen der Thermodynamik sind eng mit den Vorstellungen über den Aufbau der Materie durch kinetische Theorie und statische Mechanik verknüpft. Moderne Reaktionskinetik und Elektrochemie ist ohne ein Eingehen auf Elementarprozesse nicht mehr denkbar. Tatsächlich gibt es nur eine physikalische Chemie..."
(Z. phys. Chem. 192 (1943) nach S. IV.)

3.2. Die Zeit des Nationalsozialismus

Der Aufschwung, den die Zeitschrift am Ende der Zwanziger und Anfang der dreissiger Jahre parallel zur Entwicklung der physikalischen Chemie genommen hatte, währte nur bis 1933. Die Anzahl der Bände nahm vom Jahre 1931 an ab. Erschienen 1931 noch 11 Bände, so blieb die Anzahl in den Jahren 1937 bis 1939 bei 6.

Der Mitherausgeber Max Bodenstein hatte 1937 in seinem Beitrag "Fünfzig Jahre Zeitschrift für physikalische Chemie" die, ich zitiere "ungeheure wissenschaftliche Produktion der Jahre um 1930" auch als eine Folge der Arbeitslosigkeit interpretiert. (S. I-VII. Hier: S. VI.) Dieser Aufsatz scheint übrigens der Zeitschrift nur beigelegt worden zu sein. Er erscheint in keinem Inhaltsverzeichnis und keinem Register. In manchen Bibliotheken wurde er auch nicht mitgebunden. In den Bänden der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin wurde der Aufsatz dem Band 181 (1938) vorgebunden. Ich zitiere noch einmal: "Die jungen Leute, die nach Abschluss von Doktorarbeit und Studium keine Anstellung fanden, benutzten die erzwungene Musse, um, meist durch Stipendien wirtschaftlich einigermassen gesichert, sich in weiterer wissenschaftlicher Arbeit auszubilden." Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit hatte diesen Zustand, nach Bodenstein, aufgehoben, so dass der Umfang der Zeitschrift für physikalische Chemie ihm 1937 durchaus angemessen erschien.<

Unerwähnt blieb hier natürlich der Exodus der Wissenschaftler in der Zeit des Nationalsozialismus seit 1933 !
"Es ist aber klar, dass das Ausscheiden von so vielen Forschern, wie es durch die politischen Verhältnisse 1933 bedingt war, auch in den Journalen eine grosse Lücke hinterlässt."
(Brief an den Verfasser vom 29.8.1987)
schrieb Erika Cremer, eine Schülerin Max Bodensteins.

Michael Knoche hat in einem vor kurzem erschienen Aufsatz über "wissenschaftliche Zeitschriften im Nationalsozialismus" (Von Göschen bis Rowohlt. 1990. S. 260ff) deutlich gemacht, dass die Schrumpfung des Umfanges der deutschen Zeitschriften in den 30er Jahren nicht nur das Ergebnis der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik war. Schon Mitte der 20er Jahre gab es internationalen Druck auf deutsche Zeitschriftenverleger aufgrund der zu hohen deutschen Zeitschriftenpreise. Auf einer Tagung der American Library Association in Chicago 1933 wurde vereinbart, die Umfänge deutscher naturwissenschaftlicher Zeitschriften für das Jahr 1934 wesentlich zu senken. Nach anhaltendem internationalen Druck konnten die Exportpreise 1935 aufgrund von Subventionen der deutschen Regierung erneut gesenkt werden. Der NS-Staat wollte sich diese wichtige Devisenquelle erhalten.

Die Mitarbeit ausländischer und jüdischer Autoren an der Zeitschrift für physikalische Chemie wurde deutlich geringer. 1927 waren noch 61 % der Autoren nicht aus Deutschland, 10 Jahre später schrumpfte dieser Anteil auf 33 %. 1937 beschränkte sich der Kreis der ausländischen Autoren auf solche aus befreundeten Ländern, wie Österreich, Finnland, Japan sowie aus noch neutralen Staaten, wie die skandinavischen Länder und die Niederlande.

Auch die Titelblätter der Zeitschrift für physikalische Chemie dokumentieren die politische Entwicklung. In den Jahren 1933 und 1934 veränderte sich die Angabe von Herausgebern und Schriftleitung insgesamt viermal. Der Mitherausgeber Carl Drucker verliess Deutschland und ging, vermutlich aus politischen Gründen, nach Uppsala in Schweden, ebenso Franz Simon, der in England eine neue Heimat fand. Neu hinzu als Herausgeber der Zeitschrift kam Karl Friedrich Bonhoeffer. 1934 trat Karl Lothar Wolf (1901-1969) in die Redaktion ein. Er war einer der wichtigsten Exponenten der sogenannten "Deutschen Chemie" im Nationalsozialismus. (Martin Bechstedt: "Gestalthafte Atomlehre"- Zur "Deutschen Chemie" im NS-Staat. In: Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. 1980. S. 142-165. Hier: S. 149.)
1941 wechselte das Herausgebergremium noch einmal. Neben Bodenstein waren nun Carl Wagner (geb. 1901) und Klaus Clusius (1903-1963) Herausgeber der Zeitschrift, die sie nach Bodensteins Tod von 1943 bis zum Einstellen des Erscheinens 1944 allein weiterführten.

Dieser Herausgeberwechsel war anscheinend eine Reaktion darauf, dass auch auf die fachliche Qualität der Arbeiten die Zeit des Nationalsozialismus ihre Auswirkungen gehabt haben muss. So berichtete der spätere Mitherausgeber der nach dem Kriege erscheinenden "Neuen Folge" der Zeitschrift für physikalische Chemie, Wilhelm Jost, dass ungefär am Ende der dreissiger Jahre die Herausgeber deutscher physikalisch-chemischer Zeitschriften "dubiose" Arbeiten über den osmotischen Druck erhielten. Das endete mit dem kompletten Auswechseln eines Herausgebergremiums: Ich zitiere:
"Bodenstein told this writer immediately afterwards: 'I had to do things which I should prefer not to have done.' Of course this meant that there was political pressure, at least in the background, and Bonhoeffer told me also the same day: 'I had not been informed before that I also was to quit.'"
(Wilhelm Jost: The first 45 years of physical chemistry in Germany. Annual Review of Physical Chemistry 17(1966)1-14. Hier: S. 9)
Das mit obigem Zitat die Zeitschrift für physikalische Chemie gemeint war, deren Herausgeber Bodenstein und Bonhoeffer zu dieser Zeit waren, bestätigt sich in einem Vortrag, den Max Bodenstein 1941 auf der 46. Hauptversammlung der Deutschen Bunsen-Gesellschaft gehalten hat, der den Titel "50 Jahre Chemische Kinetik" trug. Er erwähnte Bonhoeffer, ich zitiere, "dessen durch besondere Verhältnisse erzwungenes kürzlich erfolgtes Ausscheiden aus dem Redaktionskollegium mir tiefschmerzlich ist, wie ich bei dieser Gelegenheit auch vor einem grösseren Kreise aussprechen möchte." (Bodenstein, Max: 50 Jahre Chemische Kinetik. In: Zeitschrift für Elektrochemie und angewandte physikalische Chemie 47 (1941) S. 667-672. Hier: S. 668.)

Bei den von Jost erwähnten "dubious papers on osmotic pressure" könnte es sich um die in der Abteilung B der Zeitschrift 1938 und 1940 veröffentlichten Aufsätze von Karl Fredenhagen und Mitarbeitern handeln. In ihnen wurde der van't Hoffschen "Überdrucktheorie" eine "Unterdrucktheorie" des osmotischen Druckes gegenübergestellt. Beide Aufsätze erschienen mit einer Anmerkung der Redaktion:
"Die Redaktion hat die vorliegende Abhandlung aufgenommen, um, dem Wunsche des Verfassers entsprechend, ihm Gelegenheit zu zusammenhängender Darstellung seiner Ansichten über die behandelte Frage zu geben. Sie will aber damit nicht eine Stellungnahme zu diesen Ansichten ausdrücken."
(Karl Fredenhagen: Z. phys. Chem. B40 (1938) S. 51ff)
"Aufgenommen von K. L. Wolf."
(Karl Fredenhagen und Ellen Tramitz: Z. phys. Chem. B46 (1940) S. 313ff)

Drei der Mitherausgeber, Bodenstein, Bonhoeffer und Joos, sahen sich zu einer ausführlichen Entgegnung veranlasst, in der am Schluss angekündigt wurde, dass sie, ich zitiere "in Zukunft keine weitere Arbeit in die Zeitschrift aufnehmen, die auf den Grundlagen der genannten Arbeiten aufbaut, solange wir diese Grundlagen für falsch halten." (Bemerkungen zu den Veröffentlichungen von Herrn Karl Fredenhagen... Z. phys. Chem. B47 (1941) S. 288-290. Hier: S. 290.) Auch in Euckens "Lehrbuch der chemischen Physik findet sich ein Hinweis auf diese Auseinandersetzung (Bd. II,2. 3.Aufl. S. 1073).

Sicher lag der Grund für den Wechsel des Herausgebergremiums im Jahre 1941 an dieser Auseinandersetzung. Die oben genannte Entgegnung der drei Mitherausgeber erschien in Band 47 der Abteilung B der Zeitschrift, in Band 49 waren Joos und Bonhoeffer und auch der politisch zuverlässigere Wolf nicht mehr als Herausgeber vertreten.
Ein weiteres Beispiel ist noch ein Artikel von A. Thiel mit dem Titel "Zur Frage nach einer 'anschaulichen' Deutung der Osmose und des osmotischen Druckgesetzes" zu nennen (Z. phys. Chem. A178 (1937) S. 374ff), der in seiner [sinvcircumflex]berschrift auch die damalige Zeit widerspiegelt, in der "Anschaulichkeit" eine der Hauptforderungen der "Deutschen Physik" war. (Richter, Steffen: Die "Deutsche Physik". In: Naturwissenschaft, Technik und NS-Ideologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980. S. 116-141. Hier: S. 119)

An mangelnde fachliche Qualität der Arbeiten erinnert sich auch Erika Cremer:
"Etwas später beklagte sich einmal Clusius bei mir über falsche Arbeiten, die jetzt eingereicht würden, die Thermodynamischen Gesetzen, z. B. der Phasenregel (,) widersprechen würden." (Brief an den Verfasser vom 29.8.1987.)
Dies musste jedoch schon während der Kriegszeit gewesen sein, da Clusius seit 1941 Mitherausgeber der Zeitschrift war.

An den Referaten ist der Einfluss der "Deutschen Chemie" etwas stärker als an den Originalarbeiten zu erkennen, jedoch beschränkt sich auch dies nur auf Einzelfälle. Nach einer Besprechung (Z. phys. Chem. A175 (1936) S. 175) der "'Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft', dem Organ der Reichsfachgruppe Naturwissenschaft der Reichsstudentenführung, in der vorwiegend 'völkische Wissenschaftler' publizierten", (Bechstedt, a.a.O., S. 151) folgt zum Beispiel ein Referat von Lise Meitner über P. Debye's Buch "Kernphysik".

Obwohl es während der Zeit des Nationalsozialismus Pläne zur Umgestaltung des chemischen Zeitschriftenwesens gegeben hat (Ruske, Walter: 100 Jahre Deutsche Chemische Gesellschaft. Weinheim: Verl. Chemie, 1967. S. 169-173), von denen auch die Zeitschrift für physikalische Chemie betroffen gewesen wäre, wurde es mit Kriegsausbruch still um diese Pläne.
Unter dem Obertitel "Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft" sollten nur noch drei chemische Fachzeitschriften mit den Untertiteln Zeitschrift für anorganische, organische bzw. physikalische Chemie erscheinen.


4. Schluss: Die Zeit nach 1945

Nach dem 2. Weltkrieg führte die Initiative von Karl Friedrich Bonhoeffer und Robert Rompe zum Wiedererscheinen der Zeitschrift für physikalische Chemie im Jahre 1950. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im geteilten Deutschland kam es 1954 zur Aufspaltung. Fortan existierten zwei Zeitschriften für physikalische Chemie.

Erstmals hatte sich die Zeitschrift 1950 an eine wissenschaftliche Gesellschaft, die Deutsche Bunsen-Gesellschaft, angelehnt. Auch nach 1954 erschien die Leipziger Ausgabe im Auftrag der Chemischen und Physikalischen Gesellschaft in der DDR und hatte, betrachtet man die jährlichen Seitenzahlen und sieht man von einem kurzen Einbruch nach der Aufspaltung ab, einen kontinuierlichen Erscheinungsverlauf.

Die Frankfurter Ausgabe war aufgrund mehrmaligen Eigentümerwechsels der Akademischen Verlagsgesellschaft Frankfurt und dem Verkauf an den Verlag R. Oldenbourg München wirtschaftlichen Höhen und Tiefen ausgesetzt, was auch an ihren jährlichen Seitenzahlen ablesbar ist. 1979 bekam die Zeitschrift in Anlehnung an die internationale Begriffsbildung den englischen Untertitel "International Journal of Research in Physical Chemistry and Chemical Physics".

Trotz einiger Unterschiede bezüglich Umfang, Herkunft der Autoren und Sprache der Beiträge gehörten beide Zeitschriften zu den Standardzeitschriften der Physikalischen Chemie, obwohl andere, englischsprachige Zeitschriften natürlich wesentlich wichtiger wurden. Dies wurde von Eugene Garfield in seiner Analyse 1986 bestätigt. Trotzdem kann Garfields 1976 in seinen "Journal Citation Studies" über deutsche Fachzeitschriften gestellte Frage "Is there any justification for two German journals in physical chemistry ?" aufgrund der heute überschaubaren Entwicklung nur mit "Nein" beantwortet werden.
Garfield hatte allerdings hierbei die Berichte der Bunsengesellschaft nicht berücksichtigt, die noch heute nach einem Titelwechsel erscheinen. Diese ist als "Zeitschrift für Elektrotechnik und Elektrochemie" 1894 unter Mitwirkung von Ostwald gegründet worden und wäre es wert, für eine wissenschaftssoziologische und institutionelle Betrachtung der Entwicklung der physikalischen Chemie in Deutschland untersucht zu werden.

Seit dem Jahrgang 1991 erscheint nur noch eine Zeitschrift mit dem Titel "Zeitschrift für physikalische Chemie" in Deutschland. Damit folgte der politische Einheit Deutschlands die Einheit der Publikation der Zeitschrift für physikalische Chemie (271(1990)1273). Im letzten Heft der Leipziger Ausgabe holte die Redaktion mit einem Artikel über Robert Havemann, einem Mitherausgeber der Zeitschrift in den Jahren 1963-1965, eine vorher nicht möglich gewesene Ehrung nach, die ansonsten fast allen Mitherausgebern der Zeitschrift zuteil wurde.